(Ein Auszug erschien am 4.6.2009 als Gastkommentar unter “Zur Wahl gehen” in Idea-Spektrum 23/2009, S. 3)
Der Prophet Daniel diente in zwei aufeinander folgenden Weltreichen als zweiter Mann im Staat und als rechte Hand des Königs zum Segen aller. Persönlich gradlinig und unbestechlich, bereit für seinen Glauben bis zum Letzten zu gehen, stand er trotzdem nicht abseits, sondern diente allen Menschen. In seinen eigenen Prophetien sieht Daniel beide Weltreiche als machthungrige Bestien – das haben große Reiche nun einmal leicht an sich. Er sagte sogar den Untergang dieser Bestien voraus. Doch solange sie die Realität der Menschen waren, betrat er Tag für Tag das Zentrum der Macht und wirkte das Gute, soweit es in seiner Macht stand.
Ein einzelner evangelikaler Christ, der Niederländer Paul van Buitenen, hat 1998/1999 als EU-Beamter in Brüssel durch sein entschiedenes Vorgehen und seine Unbestechlichkeit und unter Verlust seiner Karriere den Rücktritt der gesamten EU-Kommission wegen eines unglaublichen Korruptionsfilzes herbeigeführt. Heute ist er Mitglied des EU-Parlamentes und verhindert als Insider allerlei Versuche der Bereicherung. Wer die EU grundsätzlich positiv sieht, wird dies ebenso begrüßen, wie der, der große Bedenken ob der Machtfülle der EU-Bürokratie hat. Wäre es besser gewesen, van Buitenen wäre nie nach Brüssel gezogen und hätte diese unsere Welt sich selbst überlassen?
Als 2004 der damalige italienische Justizminister und jetzige Vizepräsident des italienischen Parlamentes, Rocco Buttiglione, von Italien als Kommissar der EU für Justiz, Freiheit und Sicherheit nominiert wurde, fehlte ihm bei der Bestätigungsabstimmung im Europäischen Parlament eine einzige Stimme, nachdem bekannt geworden war, dass er als überzeugter Katholik gelebte Homosexualität für Sünde halte, auch wenn er selbstverständlich das geltende Recht zur Thematik beachten werde. Eine Stimme!
Viele Ethik und Religion betreffenden Entscheidungen im EU-Parlament gehen ähnlich knapp aus und in Brüssel werden viel mehr solcher Fragen entschieden als in Berlin. Das hat auch etwas damit zu tun, dass das EU-Parlament kaum einen Fraktionszwang kennt, der angesichts der Vielfalt der Parteien der einzelnen Länder auch kaum zu erwirken wäre. So können zu Fragen der Ethik, der Menschenrechte und der Religion immer neue Allianzen geschmiedet werden, zum Guten wie zum Schlechten.
Deswegen halte ich es für wichtig, bei der Europawahl zu wählen und dafür zu sorgen, dass integre Männer und Frauen mit klaren ethischen Positionen in das EU-Parlament gelangen. Das gilt meines Erachtens ganz unabhängig davon, wie man die EU und ihre Entwicklung insgesamt beurteilt. Denn viele Dinge werden nun einmal in Brüssel und Straßburg entschieden und daran ändert sich nichts dadurch, dass man nicht wählen geht.
Die meisten Menschen wählen vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, das heißt den, der ihnen voraussichtlich am ehesten im Rahmen der gesamten Wirtschaft oder als angehöriger einer Gruppe (Unternehmer, Gewerkschaftler, Migrant usw.) mehr Wohlstand beschert. Fast alle Wahlversprechen und Wahlgeschenke der Politiker zielen darauf ab. Vor allem, weil die EU in diesem Bereich wenig zu bieten hat, sinkt die Wahlbeteiligung bei der Wahl des EU-Parlamentes enorm. Für Christen sollten aber die vielen ethischen und weltanschaulichen Fragen, die die EU entscheidet, ebenso wichtig sein. Durch die geringe Wahlbeteiligung zählt die Stimme eines Christen gewissermaßen doppelt.
Leider ist der Wahlkampf für die Wahl des EU-Parlamentes fast inhaltslos. Kaum eine Partei erklärt, wie sie eigentlich zu den kommenden Vorhaben der EU steht. Alle meiden weltanschauliche Festlegungen wie die Pest, obwohl diese in Brüssel und Straßburg oft eine zentrale Rolle spielen. Deswegen müssen sich Christen intensiver damit beschäftigen, wofür die Kandidaten, über die sie entscheiden, eigentlich einstehen. Da aber der einzelne Parlamentarier in Brüssel ohne Fraktionszwang viel einfacher zu seinen persönlichen Überzeugungen stehen kann, als im Bundestag, lohnt es sich allemal, die richtigen Leute in das EU-Parlament zu wählen.
Aber ist die Europawahl nicht eine Art Abstimmung über den sogenannten ‚Lissaboner Vertrag‘, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzen soll? Ich denke Nein. Die Wahl entscheidet über die Zusammensetzung des EU-Parlamentes, nicht mehr und nicht weniger. Wer das EU-Parlament anderen überlässt, arbeitet sogar eher noch am Machtzuwachs der EU, denn das EU-Parlament entscheidet ja auch selbst wesentlich mit, wie es mit der EU weitergeht und es gibt viele EU-Parlamentarier, die selbst Kritiker des Machtzuwachses der EU sind. Bekanntlich läuft eine von Peter Gauweiler initiierte Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die deutsche Ratifizierung des Lissaboner Vertrages, da dieser auf einen Bundesstaat hinauslaufe, in dem der deutsche Bürger nicht mehr durch seine gewählte Regierung regiert und vertreten werde und die Rechtsprechung in letzter Instanz vom Bundesverfassungsgericht auf Europäische Gerichte verlagert werde.
Aufs Ganze gesehen werden die Anliegen, die Christen bewegen, wenn sie an die Europäische Union denken, vom Lissaboner Vertrag direkt nur wenig berührt, da dieser eher verfahrenstechnische Fragen behandelt und schon heute auch nach dem alten System in Brüssel verheerende Direktiven auf den Weg gebracht werden.
Sicher gilt, was kein geringerer als der deutsche EU-Beitrittskommissar Günther Verheugen einmal gesagt hat: Würde sich die EU als Mitglied der EU bewerben, würde sie aus Gründen des Demokratiedefizits wohl abgelehnt. Aber gilt nicht auch, dass das Europäische Parlament nur selten bessere Entscheidungen gefällt hat als die EU-Kommission und dass die Mehrheitsentscheidung des EU-Parlaments eine Sache in sich nicht automatisch moralischer macht?
Wenn etwa die derzeit anstehende, für religiöse und christliche Organisationen in ihrer gegenwärtigen Fassung verheerende Folgedirektive zur Antidiskriminierung vor allem von der deutschen und der tschechischen Regierung hinterfragt und verzögert werden, so wird diese Entwicklung vom Lissaboner Vertrag so oder so zumindest kurzfristig nicht betroffen. Das Europäische Parlament hat die Direktive mit 360 gegen 270 Stimmen angenommen (also praktisch gegen den Block christlicher und konservativer Parteien), aber es fehlt die Zustimmung der Staaten. Demnach dürfen auch religiöse Dienstleister keinen Unterschied mehr dabei machen, wem sie die Dienstleistung anbieten. Christliche Privatschulen wären in ihrer Lehrer- und Schülerwahl nicht mehr frei, Eheberatungsstellen und Psychotherapeuten dürften nichts mehr raten, was als diskriminierend angesehen würde usw. Nur noch einmal: Auch ohne die EU haben dies schon mehrere europäische Länder wie Großbritannien oder Schweden längst umgesetzt.
Die Europäische Evangelische Allianz hatte im Zusammenwirken mit den großen Kirchen Europas bei der letzten Antidiskriminierungsdirektive erreicht, dass nicht nur für Kirchen, sondern für alle religiösen Organisationen ein Ausnahmetatbestand gilt. Die deutsche Regierung hat das vollumfänglich aufgegriffen und überhaupt die Direktive im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz immerhin entschärft, die sonst so europakritische britische Regierung hat dagegen die Direktive noch verschärft und den Ausnahmetatbestand für religiöse Organisationen praktisch wirkungslos gemacht, weswegen jetzt Bischöfe für ethische Äußerungen bestraft werden und alle katholischen Adoptionsstellen wegen der Verweigerung der Vermittlung von Adoptionen an offen homosexuell lebende Menschen geschlossen wurden.
Dies Beispiel zeigt übrigens zweierlei deutlich:
1. Eine EU-kritische Haltung eines Landes muss nicht unbedingt bedeuten, dass dort anti-christliche Prozesse verlangsamt werden. In Irland geht es sicher auch darum, die ethisch striktere Gesetzgebung gegenüber der EU zu schützen, in Großbritannien ist genau die entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten. Und die traditionell europakritischen ‚Konservativen‘ sind im Europaparlament in der größten Fraktion der christlichen und konservativen Parteien (Fraktion der Europäischen Volkspartei/Christdemokraten und europäischer Demokraten) immer die unsichersten Faktoren, wenn es um die Abwehr ethischer Fehlentwicklungen geht und drohen damit, diese Fraktion zu verlassen, was ihre zentrale Bedeutung beenden würde.
2. Zwar gehen viele Fehlentwicklungen von Brüssel aus, aber dieselbe Lobby ist in allen Staaten am Werk und erreicht viele Ziele auch ohne Unterstützung aus Brüssel. Die Forderungen der deutschen Justizministerin stellt zum Beispiel das meiste negativ in den Schatten, was derzeit in Brüssel geplant wird, nur die große Koalition hindert sie derzeit an der Umsetzung.
Für Christen hat die EU gleichermaßen Vor- wie Nachteile. Der umfassende Schutz der Menschenrechte innerhalb der EU und im Rahmen des größeren Europarates und dem dazugehörigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Verfolgung vieler Christen eingeschränkt. Der Gerichtshof hat wiederholt christlichen Minderheiten gegen Staaten und Behörden Recht gegeben, auch den Evangelikalen. Dass Christen innerhalb von Europa vor nationalen höchsten Gerichten verlieren und doch immer noch eine höhere überregionale Instanz anrufen können, gibt es sonst nirgends auf der Welt. Der Oberste Gerichtshof von Schweden hat beispielsweise einen Pastor freigesprochen, weil dieser zwar nach schwedischem Recht aufgrund seiner Aussagen zur Homosexualität in einer Predigt zu verurteilen sei, das Urteil aber sowieso sicher vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassierte werde, eine Blamage, die man sich lieber erspare.
Oder wählen wir ein anderes Beispiel. Die EU-Direktive zum Asyl ist in der Frage der Religionsfreiheit von Asylanten wesentlich besser als das geltende deutsche Recht. Deutschland fragt nur danach, ob der Asylant, etwa ein vom Islam zum Christentum übergetretener Iraner, in seiner ganz privaten Religionsausübung gefährdet ist. Wird er erst verfolgt, wenn er einen Gottesdienst besucht, muss er zurückkehren, da ihm zuzumuten ist, darauf zu verzichten. Die EU-Direktive dagegen schützt die umfassende Religionsfreiheit des Asylanten.
Kurzum: Ich meine, dass die Entwicklung der EU nicht unabänderlich und automatisch vorgegeben ist, sondern von konkreten Mehrheiten, Interessen und Menschen abhängt. Durch die Europawahl können Christen darauf Einfluss nehmen, das in Brüssel Männer und Frauen mitentscheiden, denen auch und gerade der Schutz der Religionsfreiheit und von Christen vertretene oder mit anderen zusammen vertretene Werte am Herzen liegen. Diese Chance sollten auch Christen nutzen, die der EU insgesamt kritisch gegenüberstehen.

(Ein Auszug erschien am 4.6.2009 als Gastkommentar unter “Zur Wahl gehen” in Idea-Spektrum 23/2009, S. 3)

Der Prophet Daniel diente in zwei aufeinander folgenden Weltreichen als zweiter Mann im Staat und als rechte Hand des Königs zum Segen aller. Persönlich gradlinig und unbestechlich, bereit für seinen Glauben bis zum Letzten zu gehen, stand er trotzdem nicht abseits, sondern diente allen Menschen. In seinen eigenen Prophetien sieht Daniel beide Weltreiche als machthungrige Bestien – das haben große Reiche nun einmal leicht an sich. Er sagte sogar den Untergang dieser Bestien voraus. Doch solange sie die Realität der Menschen waren, betrat er Tag für Tag das Zentrum der Macht und wirkte das Gute, soweit es in seiner Macht stand.

Ein einzelner evangelikaler Christ, der Niederländer Paul van Buitenen, hat 1998/1999 als EU-Beamter in Brüssel durch sein entschiedenes Vorgehen und seine Unbestechlichkeit und unter Verlust seiner Karriere den Rücktritt der gesamten EU-Kommission wegen eines unglaublichen Korruptionsfilzes herbeigeführt. Heute ist er Mitglied des EU-Parlamentes und verhindert als Insider allerlei Versuche der Bereicherung. Wer die EU grundsätzlich positiv sieht, wird dies ebenso begrüßen, wie der, der große Bedenken ob der Machtfülle der EU-Bürokratie hat. Wäre es besser gewesen, van Buitenen wäre nie nach Brüssel gezogen und hätte diese unsere Welt sich selbst überlassen?

Als 2004 der damalige italienische Justizminister und jetzige Vizepräsident des italienischen Parlamentes, Rocco Buttiglione, von Italien als Kommissar der EU für Justiz, Freiheit und Sicherheit nominiert wurde, fehlte ihm bei der Bestätigungsabstimmung im Europäischen Parlament eine einzige Stimme, nachdem bekannt geworden war, dass er als überzeugter Katholik gelebte Homosexualität für Sünde halte, auch wenn er selbstverständlich das geltende Recht zur Thematik beachten werde. Eine Stimme!

Viele Ethik und Religion betreffenden Entscheidungen im EU-Parlament gehen ähnlich knapp aus und in Brüssel werden viel mehr solcher Fragen entschieden als in Berlin. Das hat auch etwas damit zu tun, dass das EU-Parlament kaum einen Fraktionszwang kennt, der angesichts der Vielfalt der Parteien der einzelnen Länder auch kaum zu erwirken wäre. So können zu Fragen der Ethik, der Menschenrechte und der Religion immer neue Allianzen geschmiedet werden, zum Guten wie zum Schlechten.

Deswegen halte ich es für wichtig, bei der Europawahl zu wählen und dafür zu sorgen, dass integre Männer und Frauen mit klaren ethischen Positionen in das EU-Parlament gelangen. Das gilt meines Erachtens ganz unabhängig davon, wie man die EU und ihre Entwicklung insgesamt beurteilt. Denn viele Dinge werden nun einmal in Brüssel und Straßburg entschieden und daran ändert sich nichts dadurch, dass man nicht wählen geht.

Die meisten Menschen wählen vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, das heißt den, der ihnen voraussichtlich am ehesten im Rahmen der gesamten Wirtschaft oder als angehöriger einer Gruppe (Unternehmer, Gewerkschaftler, Migrant usw.) mehr Wohlstand beschert. Fast alle Wahlversprechen und Wahlgeschenke der Politiker zielen darauf ab. Vor allem, weil die EU in diesem Bereich wenig zu bieten hat, sinkt die Wahlbeteiligung bei der Wahl des EU-Parlamentes enorm. Für Christen sollten aber die vielen ethischen und weltanschaulichen Fragen, die die EU entscheidet, ebenso wichtig sein. Durch die geringe Wahlbeteiligung zählt die Stimme eines Christen gewissermaßen doppelt.

Leider ist der Wahlkampf für die Wahl des EU-Parlamentes fast inhaltslos. Kaum eine Partei erklärt, wie sie eigentlich zu den kommenden Vorhaben der EU steht. Alle meiden weltanschauliche Festlegungen wie die Pest, obwohl diese in Brüssel und Straßburg oft eine zentrale Rolle spielen. Deswegen müssen sich Christen intensiver damit beschäftigen, wofür die Kandidaten, über die sie entscheiden, eigentlich einstehen. Da aber der einzelne Parlamentarier in Brüssel ohne Fraktionszwang viel einfacher zu seinen persönlichen Überzeugungen stehen kann, als im Bundestag, lohnt es sich allemal, die richtigen Leute in das EU-Parlament zu wählen.

Aber ist die Europawahl nicht eine Art Abstimmung über den sogenannten ‚Lissaboner Vertrag‘, der die gescheiterte EU-Verfassung ersetzen soll? Ich denke Nein. Die Wahl entscheidet über die Zusammensetzung des EU-Parlamentes, nicht mehr und nicht weniger. Wer das EU-Parlament anderen überlässt, arbeitet sogar eher noch am Machtzuwachs der EU, denn das EU-Parlament entscheidet ja auch selbst wesentlich mit, wie es mit der EU weitergeht und es gibt viele EU-Parlamentarier, die selbst Kritiker des Machtzuwachses der EU sind. Bekanntlich läuft eine von Peter Gauweiler initiierte Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die deutsche Ratifizierung des Lissaboner Vertrages, da dieser auf einen Bundesstaat hinauslaufe, in dem der deutsche Bürger nicht mehr durch seine gewählte Regierung regiert und vertreten werde und die Rechtsprechung in letzter Instanz vom Bundesverfassungsgericht auf Europäische Gerichte verlagert werde.

Aufs Ganze gesehen werden die Anliegen, die Christen bewegen, wenn sie an die Europäische Union denken, vom Lissaboner Vertrag direkt nur wenig berührt, da dieser eher verfahrenstechnische Fragen behandelt und schon heute auch nach dem alten System in Brüssel verheerende Direktiven auf den Weg gebracht werden.

Sicher gilt, was kein geringerer als der deutsche EU-Beitrittskommissar Günther Verheugen einmal gesagt hat: Würde sich die EU als Mitglied der EU bewerben, würde sie aus Gründen des Demokratiedefizits wohl abgelehnt. Aber gilt nicht auch, dass das Europäische Parlament nur selten bessere Entscheidungen gefällt hat als die EU-Kommission und dass die Mehrheitsentscheidung des EU-Parlaments eine Sache in sich nicht automatisch moralischer macht?

Wenn etwa die derzeit anstehende, für religiöse und christliche Organisationen in ihrer gegenwärtigen Fassung verheerende Folgedirektive zur Antidiskriminierung vor allem von der deutschen und der tschechischen Regierung hinterfragt und verzögert werden, so wird diese Entwicklung vom Lissaboner Vertrag so oder so zumindest kurzfristig nicht betroffen. Das Europäische Parlament hat die Direktive mit 360 gegen 270 Stimmen angenommen (also praktisch gegen den Block christlicher und konservativer Parteien), aber es fehlt die Zustimmung der Staaten. Demnach dürfen auch religiöse Dienstleister keinen Unterschied mehr dabei machen, wem sie die Dienstleistung anbieten. Christliche Privatschulen wären in ihrer Lehrer- und Schülerwahl nicht mehr frei, Eheberatungsstellen und Psychotherapeuten dürften nichts mehr raten, was als diskriminierend angesehen würde usw. Nur noch einmal: Auch ohne die EU haben dies schon mehrere europäische Länder wie Großbritannien oder Schweden längst umgesetzt.

Die Europäische Evangelische Allianz hatte im Zusammenwirken mit den großen Kirchen Europas bei der letzten Antidiskriminierungsdirektive erreicht, dass nicht nur für Kirchen, sondern für alle religiösen Organisationen ein Ausnahmetatbestand gilt. Die deutsche Regierung hat das vollumfänglich aufgegriffen und überhaupt die Direktive im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz immerhin entschärft, die sonst so europakritische britische Regierung hat dagegen die Direktive noch verschärft und den Ausnahmetatbestand für religiöse Organisationen praktisch wirkungslos gemacht, weswegen jetzt Bischöfe für ethische Äußerungen bestraft werden und alle katholischen Adoptionsstellen wegen der Verweigerung der Vermittlung von Adoptionen an offen homosexuell lebende Menschen geschlossen wurden.

Dies Beispiel zeigt übrigens zweierlei deutlich:

1. Eine EU-kritische Haltung eines Landes muss nicht unbedingt bedeuten, dass dort anti-christliche Prozesse verlangsamt werden. In Irland geht es sicher auch darum, die ethisch striktere Gesetzgebung gegenüber der EU zu schützen, in Großbritannien ist genau die entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten. Und die traditionell europakritischen ‚Konservativen‘ sind im Europaparlament in der größten Fraktion der christlichen und konservativen Parteien (Fraktion der Europäischen Volkspartei/Christdemokraten und europäischer Demokraten) immer die unsichersten Faktoren, wenn es um die Abwehr ethischer Fehlentwicklungen geht und drohen damit, diese Fraktion zu verlassen, was ihre zentrale Bedeutung beenden würde.

2. Zwar gehen viele Fehlentwicklungen von Brüssel aus, aber dieselbe Lobby ist in allen Staaten am Werk und erreicht viele Ziele auch ohne Unterstützung aus Brüssel. Die Forderungen der deutschen Justizministerin stellt zum Beispiel das meiste negativ in den Schatten, was derzeit in Brüssel geplant wird, nur die große Koalition hindert sie derzeit an der Umsetzung.

Für Christen hat die EU gleichermaßen Vor- wie Nachteile. Der umfassende Schutz der Menschenrechte innerhalb der EU und im Rahmen des größeren Europarates und dem dazugehörigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Verfolgung vieler Christen eingeschränkt. Der Gerichtshof hat wiederholt christlichen Minderheiten gegen Staaten und Behörden Recht gegeben, auch den Evangelikalen. Dass Christen innerhalb von Europa vor nationalen höchsten Gerichten verlieren und doch immer noch eine höhere überregionale Instanz anrufen können, gibt es sonst nirgends auf der Welt. Der Oberste Gerichtshof von Schweden hat beispielsweise einen Pastor freigesprochen, weil dieser zwar nach schwedischem Recht aufgrund seiner Aussagen zur Homosexualität in einer Predigt zu verurteilen sei, das Urteil aber sowieso sicher vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassierte werde, eine Blamage, die man sich lieber erspare.

Oder wählen wir ein anderes Beispiel. Die EU-Direktive zum Asyl ist in der Frage der Religionsfreiheit von Asylanten wesentlich besser als das geltende deutsche Recht. Deutschland fragt nur danach, ob der Asylant, etwa ein vom Islam zum Christentum übergetretener Iraner, in seiner ganz privaten Religionsausübung gefährdet ist. Wird er erst verfolgt, wenn er einen Gottesdienst besucht, muss er zurückkehren, da ihm zuzumuten ist, darauf zu verzichten. Die EU-Direktive dagegen schützt die umfassende Religionsfreiheit des Asylanten.

Kurzum: Ich meine, dass die Entwicklung der EU nicht unabänderlich und automatisch vorgegeben ist, sondern von konkreten Mehrheiten, Interessen und Menschen abhängt. Durch die Europawahl können Christen darauf Einfluss nehmen, das in Brüssel Männer und Frauen mitentscheiden, denen auch und gerade der Schutz der Religionsfreiheit und von Christen vertretene oder mit anderen zusammen vertretene Werte am Herzen liegen. Diese Chance sollten auch Christen nutzen, die der EU insgesamt kritisch gegenüberstehen.

 

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