Warum die CDU ihren verlorenen Stammwählern wieder eine Stimme geben sollte
Wozu das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2009 wirklich führt, werden wir erst in ein paar Jahren wissen. Zukunftsvorhersage ist nirgends sinnloser, als wenn es um Parteien und Politiker geht – es kommt sowieso anders. Und warum die Wähler und Nichtwähler so gewählt bzw. nicht gewählt haben, wird wohl trotz der vielen Auguren in den Medien letztlich in ihrem Herzen beschlossen bleiben.
Wenn ich trotzdem einen Aspekt der Bundestagswahl herausgreife, dann nicht, weil ich Parteipolitik betreiben möchte oder falsche Hoffnung in die eine oder andere Partei setze, sondern weil ich mir Gedanken um die Zukunft der Partei mache, der ich mit Ausnahme einer zweijährigen Unterbrechung seit meiner Schulzeit angehöre, der CDU. Ich gehöre ihr nicht an, weil ich bei ihr alle meine Anliegen und Sichtweisen am besten aufgehoben fühle (wenn auch eine größere Zahl als in anderen Parteien), sondern weil politisches Mitgestalten laut Grundgesetz nun einmal über die Parteien (und das Wählen) läuft und ich mich als Christ in unserer Gesellschaft nicht als Außenstehender verstehe, der vom Spielfeldrand alles besser weiß, sondern als Mitspieler, der auf Gedeih und Verderb mit seinen Mitmenschen verbunden ist – so wie Daniel zwar eine glaubwürdige jüdische Gegenkultur verkörperte, aber in und für Babylon lebte.
Die Wahlstrategie der CDU und etwas weniger der CSU war diesmal offensichtlich, der SPD und damit vor allem ihrem Mitte-rechts-Flügel möglichst viele Stimmen abzunehmen, in Bezug auf die konservativen, christlichen und marktliberalen Stammwähler aber nach dem Motto zu verfahren, dass der CDU-Generalsekretär ja auch recht unverblümt vermittelte: ‚Die haben ja eh keine andere Wahl, die müssen ja sowieso CDU wählen.‘
Angeblich hat die CDU 870.000 (andere sagen 750.000 oder 620.000) Wähler von der SPD gewonnen, hat die SPD 1,1 Mio. an die FDP verloren und 1,0 (andere 1,2 Mio.) Mio. an die Nichtwähler, längst die größte der ‚Parteien‘. Ich kann die Zahlen nicht überprüfen und frage mich manchmal als soziologisch geschulter Forscher, woher manche Parteienforscher so schnell so eindeutige und für völlig belastbar gehaltene Daten haben, zumal wenn ihre Konkurrenten andere Zahlen ebenso überzeugt vortragen, aber gehen wir einmal davon aus, dass diese Zahlen in der Größenordnung stimmen.
Dann ist die Rechnung der CDU einerseits aufgegangen: Viele Wechselwähler sind von der SPD zur CDU gekommen.
Andererseits ist sie voll daneben gegangen, denn die Stammwähler ‚müssen‘ nicht CDU/CSU wählen, sie können auch zu Hause bleiben, wie es gerade im scheinbar zuverlässigen Süden, in Bayern und Baden-Würtemberg, der Fall war.
(Oder FDP wählen. Denn sicher sind auch viele Wähler zur FDP abgewandert, weil sie so die große Koalition verhindern wollten, aber sicher sind auch viele marktliberale CDU-Wähler dabei gewesen, die sich gesagt haben, wenn eh schon keine klassischen CDU-Werte mehr, dann doch wenigstens richtigen Liberalismus. Zudem ist etwa ein höherer Steuerfreibetrag für Kinder bei der FDP mehr dem Steuersenkungswunsch als der Familienpolitik der FDP zu verdanken, aber im Effekt für Familien und Freiheit größer, als alle Programmpunkte der CDU/CSU.)
Zwar hat die SPD noch mehr Stammwähler an die Nichtwählerschaft verloren, aber dafür hatte die CDU schon 2005 620.000 ehemalige CDU-Wähler an die Nichtwählergemeinschaft verloren. Das heißt, die CDU hat derzeit ein enorm großes Potenzial an Nichtwählern, die eigentlich CDU-Wähler sind.
Nicht alle von ihnen hätten CDU gewählt, wenn die CDU sich auch um christliche, konservative und marktliberale Wähler gekümmert hätte. Und hätte sie mehr z. B. christliche Töne angeschlagen, wären vielleicht weniger SPD-Wähler zur CDU gewechselt.
Aber die CDU sollte sich sehr genau überlegen, wie lange sie noch ihre historische Stammwählerschaft so vernachlässigen kann. Denn diese ‚müssen‘ nicht CDU wählen, sie können zu Hause bleiben oder der Druck kann so hoch werden, dass der CDU passiert, was der SPD passiert ist, dass sich neben ihr im rechten Spektrum zwei neue kleinere Parteien etablieren, etwa beispielsweise eine stark katholisch orientierte und eine konservativ-marktliberale.
Ich wähle ein Beispiel unter vielen: Unter denen, die man gern mit ‚Hausfrau und Mutter‘ umschreibt, fand sich einmal ein hoher Prozentsatz an CDU/CSU-Wählern. Inzwischen werden sie von der CDU kaum noch mitvertreten. Nun kann es sicher im Jahr 2009 nicht darum gehen, die CDU zur Partei der Hausfrauen zu machen (und meine Frau und ich entsprechen diesem Bild auch nicht, da wir uns die Erziehung der Kinder auch in Bezug auf den Beruf geteilt haben und teilen), aber in einer Volkspartei geht es eben auch darum, ob sich alle Bevölkerungsgruppen in ihr angemessen vertreten fühlen. Und eine ‚Hausfrau und Mutter‘ fühlt sich eben von der CDU im Stich gelassen – auch wenn man dort immer noch ein bisschen besser über sie denkt, als in allen anderen Parteien.
Die CDU hat natürlich als Volkspartei einen Spagat zu vollbringen, der kaum noch zu leisten ist. Von ihrem Namen und ihrer Geschichte her ist sie die Partei mit der treuesten Stammwählerschaft seit Jahrzehnten. Keine Partei hat einen so hohen Anteil an Parteibindung, die sich sogar durch die Generationen vererbt, zum Teil natürlich auch, weil sie sich immer als Interessenvertretung der klassischen Familie verstanden hat. Ich will einmal für die CDU im Wahlkampf stellvertretend für die christliche und konservative Stammwählerschaft als Repräsentant den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CDSU im Bundestag Volker Kauder benennen, für die neu zu erschließende Wählerschaft den Generalsekretär der CDU Ronald Pofalla, in der CSU stand für die einen Günther Beckstein, für die anderen Horst Seehofer.
Die CDU kommt mir vor wie ein Nachrichtenmagazin, das durch neue Themen, neues Outfit und neues Marketing neue Käuferschichten gewinnen will und dabei jahrzehntelange Leser und Leserfamilien und -traditionen verliert. Gewonnen werden dabei zwar neue, aber meist unzuverlässige Kunden, die zuverlässigen holt man aber oft nie wieder zurück. Jedes Wirtschaftsunternehmen, jedes gemeinnützige Werk kennt dieses Problem.
Es ist keine Frage, dass die CDU mit ihrer klassischen Stammwählerschaft allein keine Wahlen mehr gewinnen kann. Aber wenn sie diese nicht mehr wirklich gleichwertig repräsentiert, sondern an die Nichtwähler verliert oder Parteispaltung riskiert, werden ihr die neugewonnenen und recht unzuverlässigen Wähler auch keine Freude bereiten. Gerade in Bayern und Baden-Württemberg sollte die CDU deswegen auch wieder zur lauten Stimme der Christen, der Konservativen und der Wirtschaftsfachleute werden.
Sie hat dazu mehr als jede andere Partei genügend überzeugte Christen im Bundestag und in der Parteiführung, denen nur mehr Raum und Einfluss gelassen werden müsste.
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