Kann man wirklich sagen, dass die Theologie mit den historisch-kritischen Methoden wirklich die Methoden der Geschichts- oder Literaturwissenschaft übernommen hat und sich auch weiterhin an deren Entwicklung in anderen Wissenschaft orientiert?

Ich kann nicht erkennen, dass sich die Theologie an der Geschichtswissenschaft orientiert hat oder heute orientiert, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

Ich finde auch den Ausdruck „historisch-kritische Methode“ nicht als einschlägigen Fachausdruck in Standardwerken der gegenwärtige Geschichtswissenschaft oder Sprachwissenschaft (etwa Altphilologie). Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Also: Wer kann mir mit mich korrigierenden Literaturhinweisen helfen, wo und dass nichttheologische Disziplinen ihre Arbeitsweise vor allem als „historisch-kritisch“ bezeichnen? Wer kennt Beispiele dafür, dass sich einflussreiche Theologen des letzten Jahrzehntes konkret informieren, wie die Geschichtswissenschaft heute arbeitet? Gibt es Beispiele dafür, dass Fortschritte im Bereich der Geschichts- oder Literaturwissenschaft auch die Theologie veränderten?

Oder sollte die historisch-kritische Theologie nur ihrer eigenen, eben theologischen Tradition folgen, und nur behaupten, sie sei nicht speziell theologisch, sondern auf dem immer neuesten Stand anderer Fachdisziplinen?

Leopold von Ranke (1795–1886) gilt als „Begründer der historisch-kritischen Geschichtswissenschaft in Deutschland“ (Berthold Seewald, 5.8.2008). Mein Urgroßvater Friedrich-Wilhelm Schirrmacher war einer seiner bedeutendsten Schüler, weswegen ich die einschlägigen Schriften besitze.

Ranke ist einer der, wenn nicht der Begründer der modernen Geschichtswissenschaft. Ab 1810 setzte sich der Historismus durch, der an die Stelle der vornehmlich philosophischen und erzählenden Geschichtsbetrachtung einen systematischen und quellenkritisch arbeitenden Ansatz stellte. Die Geschichtswissenschaft wird professionalisiert und soll aufzeigen, „wie es eigentlich gewesen“ ist. Ranke geht es um möglichst große Objektivität bei der Wiedergabe der Geschichte. Dass von Ranke und seine Schule die Theologie beeinflusst hätte, kann ich nicht ersehen. Und so sehr wir heute nüchterner sehen, dass Neutralität und Objektivität nicht völlig möglich sind, bleibt das Ideal doch im Hintergrund und bis heute arbeiten sich alle neuen Ansichten an Ranke ab.

Die historisch-kritische Jesusforschung begann mit Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) und seiner Betrugshypothese und mit David Friedrich Strauß (1808–1874), der an die Stelle der Betrugshypothese absichtslos erdichtete Sagen stellte und über seiner Kritik das Christentum verließ und eine eigene humanistische Religion begründete. Zu welchem Zeitpunkt wechselte die historisch-kritische Methode von dem Versuch, die Quellen des Christentums unglaubwürdig zu machen, zu einer ergebnisoffenen Geschichtswissenschaft?

Natürlich gibt es „historisch-kritische“ Textausgaben in allen Geisteswissenschaften. Aber entsprechende textkritische Ausgaben der Bibel oder des Neuen Testamentes gab es schon bei den Kirchenvätern und Reformatoren, das heißt sie waren keine Neuerung der „historisch-kritischen Theologie“. Deswegen unterscheidet das Englische diese Textkritik als „lower criticism“ von „higher criticism“, wenn es um die Inhalte geht.

 

One Comment

  1. Helge Preising says:

    Das ist eine sehr interessante These bzw. Frage. Gerne würde ich mich an den Quellenforschungen beteiligen, finde aber gerade aufgrund des Zeitdrucks bei meiner Dissertation nicht die Zeit dazu. Ich würde wirklich gern mehr darüber erfahren, falls sich tatsächlich dementsprechende Ergebnisse ergeben. Als Theologe und Mitarbeiter in verschiedenen studienbegleitenden Arbeitszweigen halte ich die kritische (und auch selbstkritische) Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Exegese für ganz elementar, um sich eine biblische Hermeneutik erhalten oder wiedergewinnen zu können. Mit großem Interesse und Gewinn habe ich so auch die verschiedenen Veröffentlichungen Ihrer Debatte mit Heinzpeter Hempelmann gelesen, die ich im deutschsprachigen Sprachraum unschlagbar hilfreich finde.

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